Lago di Mergozzo - Sohn des Lago Maggiore


Blick auf den See von der gleichnamigen Stadt Mergozzo
Blick auf den See von der gleichnamigen Stadt Mergozzo

Bis ins neunte Jahrhundert waren der Lago di Mergozzo und das ihn umgebende Tal des Mont'Orfano eine Bucht, die zum Westufer des Lago Maggiore gehörten - Sinus Mergotianus genannt. Bis weit ins Hinterland kann man die Spuren des ehemaligen Wasserstandes noch heute erkennen. Angetrennt wurde dieses Teilstück im Laufe der Zeit durch die stets wiederkehrenden Überschwemmungen des Flusses Toce und die dadurch entstandene Landzunge Fondotoce, heute ein Naturschutzgebiet mit Auen, Sümpfen und einer Vielzahl an wild lebenden Tieren. Durch den Fluss und einen unschiffbaren Kanal, dessen Zweck mir nicht bekannt ist, sind die beiden Gewässer noch immer miteinander verbunden.

 

Der Mergozzo See ist einer der saubersten Europas
Der Mergozzo See ist einer der saubersten Europas

Der Lago di Mergozzo gilt als einer der saubersten Seen in gesamten europäischen Raum - und bisher wird viel dafür getan, um diese einzigartig hohe Wasserqualität zu erhalten. Zum Beispiel gilt hier seit 1995 ein generelles Verbot für Motorboote - nur Feuerwehr, Polizei und einige wenige Fischer haben eine Ausnahmegenehmigung erhalten. An den Ufern dieses See befindet sich nur eine einzige dicht besiedelte Ortschaft, die gleichnamige Stadt Mergozzo. Es gibt nur eine echte Straße, und zwar an der Nordseite des Gewässers. Das gesamte Ostufer ist so gut wie gar nicht bewohnt und von wogendem Röhricht überwachsen. Hier gibt es nur ein großes Bauwerk - einen Tunnel, durch den der Zug zwischen Domodossola und Mailand verkehrt.

 

Dementsprechend ist es hier vergleichsweise ruhiger als am Lago Maggiore, den man komplett mit dem Auto umfahren kann. Ich habe mir sagen lassen, das Lauteste hier sei der sogenannte Rummo. Im Tal rund um Mergozzo kommen an manchen Tage zwei Winde aus den Voralpen zusammen und vereinen sich zu einem, dem Rummo eben. Über die Berge hinweg kann er nicht entweichen und so bläst er sich über Fluss und Kanal Bahn zum Lago Maggiore. Er fegt durch den Golfo di Borromeo über die Inseln hinweg. Vorbei an Baveno und Stresa auf der einen und Suna und Pallanza auf der anderen Seite geradewegs ans Ostufer, wo er dann meist Orte wie Cerro, Leggiuno, Monvalle und Arolo trifft. Als ich in Mergozzo und im Fondotoce unterwegs waren, erlebte ich sonnige und beinahe windstille Tage. Aber auf meinen Wegen auf der östlichen Seite des Lago Maggiore habe ich die Böen des Rummo schon oft mitbekommen. 

 

Durch den Rummo verursachte Welle am Lago Maggiore
Durch den Rummo verursachte Welle am Lago Maggiore

Der See gerät dann für eine kleine Weile mächtig in Bewegung. Wer gerade an einer der Uferpromenaden spaziert, wird schnell von hochspritzender Gischt durchnässt. Am lustigsten ist es dann aber in und auf dem Wasser. Ich kann Euch verraten, was meine kleine alberne Lieblingsbeschäftigung ist, wenn der Wind das Gewässer tanzen lässt. Ich besitze eine winzige Luftmatratze, die für Babies gemacht ist. Eigentlich hatte ich sie ursprünglich nur dazu angedacht, meine Kameratasche im Rucksack einzuwickeln, damit sie nicht durch nasse Badekleidung Schaden nimmt. Es ist aber auch ein Riesenspass, das Ding aufzupusten, Arme und Kopf strategisch geschickt darauf zu platzieren und sich auf diese Art über die Wellen tragen zu lassen. Da wo viele Boote unterwegs sind, tut man das bestenfalls natürlich nur in Ufernähe - man kann manches nicht oft genug sagen. Ich sehe sie ja jedes Jahr, die Idioten, die entweder zu viel aus ihrem Wasserflitzer rausholen oder eben zu weit raus schwimmen. Treffen die aufeinander, wird es gern mal recht unentspannt.

 

Zum Glück finde ich aber immer Plätze, wo wenig Verkehr auf dem Wasser ist und sich die Anzahl der Felsen unter der Seeoberfläche in Grenzen hält. Dann amüsiere ich mich köstlich mit meiner Baby-Luftmatratze, gleite über die Wellen mit Schwung und gerate in den wundervollen Zustand der Selbstvergessenheit. Ich kann mich eines gewissen Pathos nicht erwehren - es ist schön, wenn man auch im Inneren wieder nur zu einem winzigen Atom des gigantischen Ganzen wird, mit der vollkommenen Schönheit dieser Umgebung verschmilzt und eins mit sich selbst wird. Deshalb ist es immer auch ein bisschen schade, wenn der Rummo wieder abflaut und die Bewegungen des Sees sachter werden. 

 

Mergozzo
Mergozzo

Aber kehren wir zurück nach Mergozzo. Am bekanntesten ist dieser Ort für den Marmor-Tagebau in der Candoglia. Das edle Gestein der Stadt wurde ab 1388 für den Dombau zu Mailand verwendet. Über die Jahrhunderte veränderte sich das Gesicht dieses Gotteshauses immer wieder, das verwendete Gestein kam dabei aber stets von diesem kleinen See und wird bis zum heutigen Tag für Sanierungsarbeiten geliefert. Überhaupt scheint Mergozzo es mit alten Traditionen ernst zu nehmen. Natürlich hat sich die Mode verändert, die politischen Verhältnisse sind nicht mehr so wie sie mal waren und man ist auf dem neuesten Stand der Technik. Aber noch immer ist die im Jahr 1600 gepflanzte Ulme in der Mitte des Dorfplatzes der Ort, an dem man sich kurz für den ersten Espresso des Morgens trifft, bevor man sein Tagwerk verrichten geht. Hier sitzen die Alten schwatzend und lachend, die Pfade der Jungen kreuzen sich auf dem Weg von der Schule nach Hause. Man kennt sich, man grüßt sich. Man feiert Dorffeste in altertümlichen Trachten und isst seit Anbeginn der Zeit dazu fugascina - eine süße Form des bekannteren focaccia. Im Kern eben alles so, wie es immer gewesen zu sein scheint.

 

Behütet von der hoch über den Gassen befindlichen Chiesa San Elisabetta, die knapp unter den Resten einer mittelalterlichen Burg steht, geht das Leben in Mergozzo einen gemächlichen Gang. Bisher verirren sich an diesen Ort nur wenige Touristen. Man möchte dies ändern und beschildert und benennt seine Etablissements inzwischen häufig deutsch. Ich persönlich finde das ein bisschen schade - Ristorante Giardino Dei Fiori klingt in meinen Ohren doch irgendwie einladender als Restaurant Blumengarten. Ich nehme an, dies soll als Zeichen der besonderen Gastfreundschaft gelten. Vielleicht sollte ich diese Geste sogar zu schätzen wissen?

 

Eine Gasse in Mergozzo
Eine Gasse in Mergozzo

Wie vielerorts in Italien ist auch diese Stadt sehr von altem christlichen Glauben geprägt und so finden sich in vielen Winkeln Darstellungen biblischer Szenen in den Wänden. Als jemand, der mit Glauben nichts anfangen kann, bin ich immer hin und her gerissen zwischen der Bewunderung für die Künstler und dem Kopfschütteln über eine solche Hingabe an die Religion wie eben aus solchen Werken spricht. Andererseits hat man eben als Künstler in den Zeiten der Entstehung dieser Bilder auch kaum Aufträge erhalten, wenn man sich solchen Motiven verweigert hat. Ein kompliziertes Feld, auf das ich jetzt nicht näher eingehe. So oder so sind die Gemälde da. Und oft kann man auch nicht anders als sich schlicht an ihrer Schönheit zu erfreuen. Und an Kunsthandwerk in höchster Perfektion, dass einem einfach so auf der Straße begegnet. Es hat Kriege überdauert und Naturkatastrophen überstanden, es wird noch immer gehegt und gepflegt und es erzählt uns etwas von den Ansichten unserer Vorfahren und was wir jetzt daraus lernen können. Das so unangetastet von der Last der Zeit zu sehen wie in Mergozzo ist eine Besonderheit, für die man sich einige Momente nehmen sollte. 

 

Bestenfalls legt man seine notwendigen Pausen einfach an solchen Ecken ein wie oben im Bild, denn es geht steil bergauf oder bergab, auf einem Kopfsteinpflaster aus dem Kiesbett des Flusses Toce. Ebene Flächen sind rar, aber ich wurde für den Auf- und Abstieg mit einem Rundgang durch ein Örtchen belohnt, in dem hier und da die Zeit stehen geblieben zu sein schien - bis ich durch das Knattern einer Vespa zumindest schon mal wieder in die 50er zurückversetzt wurde. Autos waren man nur wenige in den engen und verwinkelten Sträßchen. Neben den obligatorischen Motorrollern traf ich nur hin und wieder auf freundliche Fußgänger oder ambitionierte Radfahrer. Es gab auch ein kleines Kuriosum - das Marmorwerk des Künstlers Giuseppe Lusetti, das mit 29,3 Metern als längste aus Stein gefertigte Kette ins Guinness Buch der Rekorde eingetragen wurde. Insgesamt war es ziemlich gediegen hier, mit sehr gepflegten Fassaden und sauberen Straßen. Dazu war es angenehm unaufgeregt.

 

Blick auf Mergozzo vom Monte Castello
Blick auf Mergozzo vom Monte Castello

Ich war auch mal mit meinen geschätzten Gast-Eltern an diesem Ort - und die hatten danach noch eine Überraschung für mich in petto. Mit dem Auto tuckerten wir die kurvenreiche und mitunter durch winzige Dorfgassen führende Hauptstraße des Monte Castello hinauf. Von einer Lichtung am Gipfel kann man zu seiner Rechten auf den Lago di Mergozzo und seine einzige Ortschaft blicken, während sich zur Linken das Fondotoce und der Golfo di Borromeo des Lago Maggiore ausbreiten. Ich liebe solche Aussichtspunkte, ganz besonders in dieser Gegend. Die geschwungene Landschaft unter sich, der Farbenreichtum der Umgebung - ich habe schon wieder Herzklopfen, wenn ich nur daran denke. Ich möchte eines Tages nicht nur dort leben.

 

Ich sehe mich als eine Art inoffizielle Botschafterin dieser Region - eine, die nie jemand dazu aufgefordert hat, eine solche Position einzunehmen. Die aber auch nicht anders kann. Würde ich im Lotto gewinnen, dann brächte ich mein Leben wahrscheinlich ausschließlich damit zu, die nord-italienischen Seen zu erkunden, zu dokumentieren und mein Wissen darüber zu teilen. Ich möchte mit meinen Worten und Bildern auch nicht in erster Linie Reiselust wecken, sondern eine gewisse Wertschätzung für das, was einen Reisenden dort erwartet. Denn was man zu schätzen oder gar lieben lernt, will man auch erhalten.



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