Nur noch drei Mal schlafen...


An einem Strand in Laveno
An einem Strand in Laveno

Heute, am Samstag, kommt mir der Dienstag meiner Abreise an den Lago Maggiore furchtbar weit entfernt vor, auch wenn mir jeder erzählt, dass es ja jetzt bald losgeht. Für mich hat in der letzten Woche vor Italien jeder Tag mindestens 73 Stunden und will einfach nicht vergehen. Außerdem schwebe ich einem seltsamen Gemütszustand - alles, was mich hier nervt, scheint sich zu potenzieren und nochmal ausgiebig die Grenzen meiner Geduld testen zu wollen. Und in einem anderen Winkel meines Hirns macht sich ungläubige Vorfreude breit - im Grunde meiner Seele kann ich eigentlich immer noch nicht fassen, dass man einem Ort so derart mit Haut und Haaren verfallen kann wie es mir mit diesem wundervollen See passiert ist.

 

Meine Phantasie beschwört Bilder herauf - von Gebirgsketten am Horizont hinter der weiten Wasseroberfläche. Von Sonnenuntergängen, deren letzte Grüße auf dem See glitzern. Von kaltem Wasser auf meiner Haut. Von Pizza am Strand. Und nicht zuletzt von den lachenden Gesichtern "meiner" Italiener. Ich freue mich auf all die Wiedersehen mit diesen zauberhaften Menschen und darauf, dass die Wärme ihrer Herzen wieder meines berührt und meinen aufgewühlten Geist zur Ruhe bringt. Und die Momente der inneren Einkehr, wenn ich allein am Strand sitze und nur dem Lied der Wellen lausche.

 

Hier, in dieser deutschen Großstadt fehlen mir solche Augenblicke schmerzlich. Der Umgang der Menschen miteinander lässt es oft an Herzlichkeit mangeln. Stille ist ein rares Gut, einsame Orte zu finden, ist schwer. Ab Dienstag Abend aber bin ich endlich wieder da, wo ich sein muss, um zu Glückseligkeit zu finden und dem Menschen nahe zu kommen, der ich im Innern eigentlich bin. Die meckernde und zutiefst unzufriedene Person, die sich in Deutschland präsentiert, bleibt irgendwo über den Alpen zurück. Leider fängt sie mich am letzten Reisetag immer wieder ein, wenn ich dahin zurückkehren muss, wo ich nicht hin gehöre. Und erneut wird der See Stücke meines Herzens behalten. Bis so viele davon da sind, dass ich zu wenig mit nach Deutschland nehme, um überleben zu können.

 

Der Abschiedsschmerz ist dann so überwältigend - ich kann wirklich etwas in mir reißen hören, wenn ich mich vom Ufer abwende und zum Bahnhof marschiere - dass ich jedes Mal denke, ich sollte einfach nicht mehr nach Italien fliegen, um mir das zu ersparen. Aber die Sehnsucht gewinnt ein ums andere Mal - und letztlich ist es gut so. Denn auch alles, was ich dort liebe, erlebt in jedem Jahr eine weitere Steigerung. Und ich bin immer wieder von mir überrascht und finde scheinbar neue Seiten am mir, die mich vor mir selbst sympathischer aussehen lassen. 

 

Dienstag Abend also empfangen mich meine geliebten Gast-Eltern wieder in ihrem Haus und ich werde die nächtlichen Lichter von Baveno über das Wasser hinweg bis in mein Zimmer in Suna glitzern sehen. Wenn ich Mittwoch Morgen die Fensterläden öffne, wird mein erster Blick dem See gelten. Kaffee mit der Familie, dann zum Frühstück ein Treffen mit einem meiner Jungs vom Schiff. Donnerstag dann Mittagessen mit einer meiner Gastgeberinnen vom letzten Winter. Und Samstag feiere ich in meinen 40ten rein. Mit entzückenden Menschen am Strand - so zumindest ist es vorgesehen. Aber ich höre beunruhigendes über die Wetterlage und muss wohl noch einen Plan B aus dem Ärmel zaubern.

 

Und wie immer, wenn es auf die Reise geht, glaube ich erst, dass das alles kommt, wenn es wirklich passiert. Nur die Schmetterlinge im Bauch sind real und machen mich wahnsinnig. Ich kann nicht essen und nicht schlafen, mich auf nichts konzentrieren und fühle mich alles in allem wie damals auf dem Schulhof - als ich meinem Schwarm in der Pause ein Geschenk machen wollte. Wenn ich endlich im Flugzeug sitze und es dann tatsächlich losgeht, werde ich mich wieder schwer zusammenreißen müssen, um nicht vor lauter Aufregung zu quieken. Wenn meine Augen dann den See erblicken, werden sie wieder in Freudentränen ertrinken - ich bin gleich in mehrfacher Hinsicht nah am Wasser gebaut.

 

Wieder einmal schwingt auch die Hoffnung mit, dass ich diesmal nicht wieder fort muss, denn ich habe ein Vorstellungsgespräch nach meinem Geburtstag - und wäre das nicht ein großartiges Geschenk des Universums, wenn ich den Job bekäme? Dieses Mal werde ich auch den Sacro Monte in Varese sehen - einen Berg, den man der Wallfahrt und dem Thema des Rosenkranzes gewidmet hat. Auch als alte Atheistin, die ich bin, kann ich solchen Orten etwas abgewinnen. Überdies bekomme ich dort eine Führung von der Chefin des Tourismusverbands höchstselbst und darf auch Dinge sehen, die anderen verborgen bleiben. Selbstverständlich werde ich die Chance nutzen, auch bei dieser Dame um einen Arbeitsplatz vorzusprechen. Man muss immer, immer, immer am Ball bleiben.

 

Meine Liebesgeschichte mit dem See darf einfach nicht tragisch enden - eine Protagonistin mit gebrochenem Herzen, die für immer an einen verwunschen Ort gekettet bleibt und nicht entfliehen kann, hat doch keinen Unterhaltungswert. Der Film in meinem Kopf jedenfalls geht anders aus und hat auf dem Weg zur finalen Szene noch so einiges an Dolce Vita zu bieten.



Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    MaryK (Montag, 20 Juni 2016 18:16)

    Ich wünsche Dir , dass Dein Traum in Erfüllung geht !! <3