Wenn König Fußball regiert


Nachwuchsförderung
Nachwuchsförderung

Surreale Szenen spielen sich ab, wann immer es um irgendeinen Pokal in des Deutschen liebsten Sport geht. Ich würde ja gern behaupten, all diese Meisterschaften seien mir egal - das ist aber nicht der Fall. Einerseits ist mir unverständlich, dass in solche Sportveranstaltungen so viel Geld fließt, das man für so viel Besseres verwenden könnte. Andererseits kann ich nichts daran ändern, und so darf ich auch die Vorteile genießen, die diese Events so mit sich bringen. Wie zum Beispiel vorhin; just in diesem Augenblick läuft nämlich das Spiel Deutschland gegen Polen in der aktuellen Europameisterschaft. Kurz vor dem Anpfiff habe ich mich am anderen Ende der Stadt auf mein Rad geschwungen, wo ich Freunde besuchen war.

 

Der Rückweg nach Hause war auf großen Teilen der Strecke geradezu bizarr. Über mir braute sich ein Gewitter zusammen und die Straßen waren so gut wie menschenleer. Irgendwo hinter mir auf der Hauptstraße fuhren ein paar Autos und die Bahn - doch das schien sehr weit weg zu sein. Wo ich mich aufhielt, begegnete mir nur ein fröhlich vor sich hin pfeifender Asiate, der mir freundlich zulächelte und einen schönen Abend wünschte. Sonst keine Seele unterwegs. Hier und da schallte der Kommentar zum Spiel aus dem einen oder anderen Fenster. Davon abgesehen herrschte geradezu gespenstische Stille. Nicht mal der Wind ging.

 

Mein Weg führte mich auch durch einem unserer ehemaligen königlichen Gärten und an den darin befindlichen Gewässern vorbei. Das Highlight, das Mutter Natur in diesem Moment zu bieten hatte, war mir ganz allein vorbehalten. Inzwischen war es linkerhand ein bisschen aufgeklart und die Sonne kam nochmal durch, um über den Teichen unterzugehen. Rechts von mir zogen sich noch immer dunkle, fast schwarze Wolken bedrohlich zusammen und trieben mich zur Eile. Ein spektakulärer Anblick, den ich ausnahmsweise nicht mit Fotos belegen kann. Wenn man Freunde mit entzückenden Kindern besucht, sollte man den Akku der Kamera vorher aufgeladen haben, um hinterher noch Bilder machen zu können. Der Vorteil daran wiederum ist, dass dieser Umstand mich daran erinnert hat, die Ladegeräte vor meiner Abreise nach Italien am Dienstag nochmal auszupacken.

 

Erst als ich den Stadtteil erreichte, in dem mein temporäres Zuhause ist, nahm das Leben um mich herum wieder gewohnte Züge an. Dies ist nämlich die Kult- und Partymeile unserer kleinen Metropole hier. Die Hauptstraße ist das Herz des Viertels, und es schlägt rund um die Uhr. Hier waren wieder viele Leute unterwegs, die Public Viewing Standorte reihten sich aneinander und es gab kein Entkommen mehr vor den Mitmenschen.

 

Aber diese kurze Tour war wunderbar - und solche Momente beschert mir der Fußball. Zu dem Thema habe ich übrigens noch eine sehr lustige und eine eigentlich völlig unglaubwürdige Geschichte parat. Mit letzterer möchte ich beginnen. Im Jahr 2006 war Deutschland Gastgeber der Weltmeisterschaft. Hier fand das Spiel Italien gegen Ghana statt. Damals war ich noch verheiratet und der Ex-Gatte war in schlechter Stimmung. Eigentlich wollte ich nur davor flüchten, als ich mich in Richtung Stadion begab, um die kostümierten und feiernden Fans zu fotografieren.

 

Ich ließ mich mit der Masse treiben und sah immer rechts von mir die Ordner in neon-orangen Westen, die Eintrittskarten kontrollierten und Zuschauer einließen. Ich schoss Massen von Bildern und konzentrierte mich nicht zu sehr darauf, wohin ich nun eigentlich lief. Als ich mich das nächste Mal umsah, standen die Ordner links von mir und die Traube von Menschen direkt um mich herum war merklich kleiner geworden. Zu meiner Verblüffung befand ich mich auf dem Gelände des Stadions und der Anpfiff war keine zehn Minuten her.

 

Ich schwöre hoch und heilig, dass ich nicht die geringste Ahnung hatte, wie ich dort eigentlich hingekommen war. Vielleicht hatte man mich so bepackt mit Equipment irrtümlich für Presse gehalten. Jedenfalls beschloss ich, nicht auf mich aufmerksam zu machen. Brust raus, Bauch rein. Mich so bewegen, als sei meine Anwesenheit hier eine völlige Selbstverständlichkeit. 

 

Tatsächlich gelangte ich bis hinter das Tor Ghanas und erst hier nahm ich wahr, dass alle ihre Tickets an einem Band um den Hals trugen. Außer mir natürlich. In der ersten Halbzeit war ich entsprechend ängstlich, dass man mich entdecken und rausschmeißen würde. Also habe ich mich nur wenig bewegt - obwohl es überraschend aufregend war, den ersten italienischen Treffer ins Netz segeln zu sehen. Aber niemand nahm auch nur Notiz von mir. Also hielt ich ab der zweiten Halbzeit die Kamera gnadenlos aufs Spielfeld, verpasste aber auch die Chance auf ein Bild vom zweiten Tor Italiens. Aber immerhin gab ich am Ende noch einem der Ordner meine Nikon und bat ihn, mich abzulichten. Ich brauchte einen Beweis, dass ich nicht nur wild vor mich hin geträumt hatte.

 

Als das Spiel gewonnen war, feierte ich noch mächtig mit meinen Lieblingseuropäern ab und fühlte mich an die andere Geschichte erinnert, die ich noch schnell einwerfen möchte. Im zarten Alter von knapp sechs erlebte ich nämlich meine erste Begegnung mit Fußball und mit Italienern zugleich. Wir lebten damals in Kanada, es war die Weltmeisterschaft 1982, und mein gelobtes Land schickte eine Mannschaft nach Spanien, die den Titel holte.

 

Mein Vater, der sowas nie verpassen konnte, packte uns ins Auto und fuhr nach Toronto, direkt an den Rand von Little Italy. Hinein zu fahren wäre unmöglich gewesen, jeder Quadratzentimeter Boden war voller jubelnder und frenetisch ausufernder Menschen. Da habe ich zum ersten Mal erlebt, wie Italiener feiern können und es hat schon damals einen tiefen Eindruck hinterlassen. Sicher ist es kein Zufall, dass ich mir deren Land als nächste Wahlheimat wünsche.

 

Die Sportart Fußball an sich interessiert mich wirklich nicht. Ich weiß ein paar Rand-Daten. Jedoch eigentlich nur, weil man nicht daran vorbei kommt. Drumherum aber habe ich schon auf sehr unterschiedliche Arten Spaß damit gehabt. Deshalb wünsche ich uns allen, dass der weitere Verlauf dieser Europameisterschaft ein bisschen friedlicher wird und wir uns alle auf unsere Arten der Freude am Event konzentrieren können.



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