Ein Stück Schwarzwald - und ein bisschen mehr


Fachwerkfassade in Wurmberg
Fachwerkfassade in Wurmberg

Meine erste und hoffentlich nicht letzte Reise in den Schwarzwald trat ich im Herbst an, meines Erachtens die schönste Jahreszeit für einen Trip in die berühmteste deutsche Forst-Gegend. Die Mücken sind schon dahin, das Laub verfärbt sich bereits und die Chancen auf den Geruch von nassem Waldboden nach Regen sind verhältnismäßig hoch. Außerdem hatte ich ja im Sommer am Lago Maggiore dieses Ehepaar kennengelernt, das hier lebte und mich einlud, ein paar Tage bei ihnen zu verbringen. Wenn ich es mir gerade leisten kann, sage ich zu solch einer Gelegenheit nicht nein. Raus aus dem Alltag, was bisher unbekanntes sehen und wieder einen winzigen Fetzen der großen gesamten Menschheitsgeschichte erkunden. Also packte ich den Rucksack und ab ging es nach Wurmberg.

 

Meine Gastgeber waren gleich aus mehreren Gründen sehr unterhaltsam. Zum einen waren sie schlimmere Quasselstrippen als ich. Was dazu führte, dass ich gegen zwei so sprachgewaltige Menschen mitunter kaum zu Wort kam. Ein Umstand, der meine Freunde mindestens an die Grenzen eines Lachanfalls bringen wird. Zum anderen waren sie Leute um die Fünfzig, die in allerfeinster Teenager-Manier ineinander verliebt waren und turtelten, was das Zeug hielt. Großartiges Entertainment war also garantiert, und ich wurde nicht enttäuscht. Übrigens schweben die beiden noch heute auf ihrer Wolke sieben über dem Stress eines "normalen" Lebens und genießen ihren ewigen Valentinstag.

 

Bodensee bei Lindau
Bodensee bei Lindau

Während meines Aufenthaltes widmeten sie mir sehr viel ihrer Zeit und begaben sich mit mir auf diverse Tagestouren. Ich wollte unbedingt die Schwarzwaldklinik sehen, wenn ich schon mal hier war. Die war nicht so berauschend. Viel winziger als im Fernsehen und inzwischen von so hohen Bäumen umgeben, dass man kaum einen anständigen Blick darauf bekam. Aber die Fahrt durch die Landschaft war den Trip allemal wert. Und sie ging auch weiter. An dem Tag fuhren wir auch noch in die Schweiz, an den Rheinfall zu Schaffhausen. Der beste Teil  war dann aber auch zugleich die letzte Station - Bayern nämlich. Sonnenuntergang über der Lindau-Insel im Bodensee. Ich mag sowas - einfach ins Auto und los, am Besten über Landstraßen. Die Umgebung an sich vorbei fliegen lassen. Da aussteigen, wo es einem am Schönsten erscheint, mal ein Stündchen oder zwei gucken und weiterziehen. Dabei Punkte auf der geistigen Landkarte markieren, denen man eines Tages dann mal eine Woche widmet.

 

Natürlich waren wir auch im Schwarzwald und der näheren Umgebung unterwegs. Pforzheim war die nächste größere Stadt in der Nähe von Wurmberg. Entlang der Enz gab es dort viele schöne Flecken. Die Innenstadt selber war nicht besonders aufregend, aber es gab so eine Art "italienisches Viertel". Dort findet man einen exquisiten Supermarkt mit allerlei Köstlichkeiten aus dem Mutterland des guten Essens, eine Pasticceria und zahlreiche Cafés und Bars mit mediterranem Flair.

 

Schwarzwälder Kirschtorte aus dem Ochsen in Höfen
Schwarzwälder Kirschtorte aus dem Ochsen in Höfen

Die Dame des Hauses bescherte mir obendrein noch ein besonderes kulinarisches Erlebnis, das ich jedem wärmstens an Herz legen möchte, der sich irgendwann mal in dieser Region befindet. Ich entschuldige mich für das ausgesprochen schlechte Foto, aber ich war viel zu aufgeregt, um mich mit den richtigen Kameraeinstellungen zu befassen. Der türkische Couchsurfer, der einst bei mir zu Gast war und Kuchen so sehr liebte, wäre hier vor Entzückung schlicht tot umgefallen. Wir kehrten ins Hotel Ochsen in Höfen ein, um dort einen Kaffee zu trinken und ein Stück der legendären 25 cm hohen Schwarzwälder Kirschtorte zu genießen, die auf einem Essteller statt einem Kuchenteller serviert werden muss. Das war ganz großes Kino. Der Chef des Hauses begrüßte seine Gäste höchstpersönlich in der Lobby und warf großzügig mit Komplimenten um sich. Das Personal trug Tracht. Uriges Ambiente durch Bleiglasfenster und antike Kachelöfen. An sich schon alles großartig, aber noch getoppt durch die grandiose Torte. Vergesst die Tiefkühl-Version aus dem Supermarkt. Vergesst, was Euer Konditor um die Ecke kann. Vergesst sogar die Schwarzwälder Kirsch, die Eure Mutter macht - entschuldige, Mama. Meine Begeisterung ging weit - ich verkündete, spontan den Erschaffer dieses Kunstwerks heiraten zu wollen. Zum Glück wurde ich durch seinen Unwillen vor einem konsequenzenreichen Schritt in eine ungewisse Zukunft bewahrt. 

 

Von da ging unsere Tour weiter nach Bad Liebenzell und die gleichnamige Burg. Diese wurde ursprünglich im 12ten Jahrhundert errichtet. 1692 wurde sie vollständig zerstört und erst 1954 auf dem alten Grundriss wieder aufgebaut. Dieser Kurort ist ein Städtchen wie aus einem Bilderbuch. Man meint fast, das Geklapper der Kutschen noch zu hören, die vor den Autos hier die Straßen bevölkerten. Wunderbare alte Bauten und viel Fachwerk umgeben von den sanften Hügeln des Schwarzwalds. Die perfekte Postkarten-Idylle.

 

Schwäbischer Charme
Schwäbischer Charme

Selbstverständlich habe ich mich auch in Wurmberg umgesehen, dem Heimatort meiner Gastgeber. Auf den ersten Blick nur ein weiteres Dorf in der Peripherie deutscher Großstädte, aber doch mit einer interessanten Geschichte. Im Jahr 1699 nahm man hier rund 200 Flüchtlinge auf. Es handelte sich dabei um Waldenser, die von der katholischen Kirche ausgeschlossen und der Häresie beschuldigt waren. In jener Zeit bedeutete dies ein Todesurteil. Die Waldenser erhielten vom Herzogtum Württemberg die Genehmigung, eigene autonome Kolonien zu gründen, sogenannte "welsche Dörfer", die durch Gemarkungsanteile von den deutschen Nachbargemeinden finanziert wurden. In Wurmberg hieß diese Kolonie Lucerne, benannt nach dem Tal im Piemont, aus dem die Flüchtlinge kamen. 1701 stießen hier noch 60 weitere Personen hinzu, unter ihnen der Kaufmann Antoine Seignoret. Dieser brachte 200 bis dahin nicht lokal angebaute Kartoffeln mit nach Lucerne und schuf so die Grundlage für die agrarwirtschaftliche Basis der Waldenserkolonien in Baden-Württemberg. Im Jahr 1808 wurde Lucerne in Wurmberg eingemeindet. Die ehemalige Kirche der Gemeinde, der Dreh-und Angelpunkt der Kolonie, wurde kurz vor Kriegsende 1945 noch Opfer von Artilleriebeschuss und existiert heute nicht mehr.

 

Das Dorf besticht durch zwei Dinge: alte Architektur und die riesige Waldfläche, von der es umgeben ist. Leider macht die allgegenwärtige moderne Schachtelbauweise neuer Gewerbegebiete auch vor diesem Ort nicht Halt - aber noch kann man hier lange Strecken durch den Forst wandern, Äpfel und Birnen von Bäumen am Wegesrand der Ortschaften stibitzen und sich einfach mal unsichtbar für den Rest der Menschheit machen. Alles was man dann hört, ist der Wind in den Bäumen, die Lautkulisse einiger Tiere und vielleicht mal das Rauschen von Regen. Ich saß mal dort rauchend in einem Hochsitz, während ein beachtlicher Guss runterkam und fühlte mich als sei ich der einzige Mensch auf der Welt - nur umgeben von lichtem Nebel und vom Plätschern und Klopfen des Wassers. Solche Plätze werden immer seltener in unserem Land, dabei bräuchten wir sie so dringend, um auch mal abzuschalten und den Lärm der Städte hinter uns lassen zu können. Wer mal wieder Ruhe benötigt, ist mit Wurmberg ausgezeichnet bedient.

 



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