Generation Schwach?


Muss ich?
Muss ich?

Ich werde in diesem Jahr vierzig, komme also aus der Generation, die Mitte bis Ende der 70er begann, die Welt zu bevölkern. Die meisten von uns hatten es gut. Friedenszeiten, Wirtschaftswunder-Eltern, keine allzu autoritäre Erziehung und jeden Tag Essen auf dem Tisch. Arbeiten mussten wir erst nach dem Abschluss der Schule - die zu besuchen eine Selbstverständlichkeit war, wenn auch nicht immer die reine Freude. Multikulti war uns nicht fremd, Urlaubsreisen auch nicht. Spielzeug gab es im Überfluss, wir hatten eigene Zimmer und viele Rechte, die unsere Vorgängergenerationen nicht leben durften. Die meisten von uns sind einigermaßen gut gebildet worden, sprechen mindestens zwei Sprachen und bekamen nach der Schule einen Job. Die berühmten und immer in Erscheinung tretenden Ausnahmen nehme ich zur Kenntnis.

 

Es mag daran liegen, dass wir auf diese Weise verwöhnt wurden, dass viele von uns kaum über das Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, den Stürmen des Lebens zu trotzen, verfügen. Ich kenne kaum jemanden in meinem Alter oder minimal jünger oder älter, der noch nicht wegen Depressionen in der Gesprächstherapie saß und/oder Psychopharmaka einwirft. Versteht mich nicht falsch, ich erkenne sehr wohl an, dass es seelische Erkrankungen und Ursachen dafür gibt. Aber ich weigere mich strikt zu glauben, dass die fast eine gesamte Generation betreffen. 

 

Ich persönlich glaube, dass so manch einem die Erfahrung echten Elends sogar vollkommen fehlt. Ein kräftiger Tritt in den Arsch und ein ausgedehnter Aufenthalt dort, wo es Menschen wirklich von Grund auf schlecht geht, würde hier schon reichen, um die Dinge mal wieder ins richtige Licht zu rücken. Dafür muss man nicht mal das Land verlassen. Freiwilligen-Dienst in einem Flüchtlingsheim oder der Krebsstation eines Krankenhauses sollte einen demütig genug werden lassen.

 

Viele machen es sich zu einfach. Ich kenne jemanden, der freiwillig in einer betreuten Wohngemeinschaft lebt. Dort wird ihm das Geld eingeteilt, das Essen hingestellt, die eingehenden Rechnungen werden für ihn bearbeitet, seine Medikamente werden ihm gereicht und er muss sich um gar nichts kümmern. Die Einrichtung stellt ihn und seine Motive nicht eine Sekunde lang in Frage, immerhin verdient sie gut an ihm. Seine Begründung für diese Lebensweise ist - und ich zitiere wörtlich: "Weißt Du, es war so anstrengend, alles selbst zu regeln und so viel Verantwortung zu tragen. Warum sollte ich das machen, wenn es diese Leute gibt, die das für mich tun? Es ist doch viel bequemer so." Dies von einem, der behauptet, behütet aufgewachsen zu sein, keinerlei Erfahrungen mit Missbrauch oder Misshandlung zu haben und auch sonst kein allzu schlechtes Leben geführt zu haben scheint.

 

Diese Art von Verantwortungslosigkeit ist überhaupt oft vertreten, wenn auch natürlich nicht in einem solchen Extrem. Aber meine Generation ist vielfach unzuverlässig und nicht belastbar. Viel zu viele Laberköppe, die das Maul weit aufreißen und Versprechungen machen, die sie nicht halten. Als jemand, der an wechselnden Projekten arbeitet und sich immer wieder neue Teams dafür zusammenstellen muss, weiß ich in diesem Punkt ganz genau, wovon ich rede. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich wochen- oder gar monatelang hinter so einigen Beiträgen zu so manchem Werk herlaufen musste, von dem diese Leute angeblich begeistert waren. Und wenn man sie dann irgendwann doch auf den Pott setzt, kriegt man nur Gejammer von ihnen zu hören. Buhu, das Leben ist so schlecht. Buhu, alle sind gemein zu mir. Buhu, mit so viel Druck kann ich nicht umgehen. Ich habe alles in allem fünf Jahre gebraucht, um drei Leute zu finden, die einfach mal machen, was zu tun ist und fertig.

 

Und dann haben so viele Angst vor so vielem. Wer beispielsweise keine Spinne allein aus seiner Wohnung entfernen kann, weil er eine sogenannte Phobie hat, ist doch im Umkehrschluss völlig aufgeschmissen, wenn er mal allein lebt. Ich verwende bewusst das Wort "sogenannte", denn ich glaube nicht, dass alles, was als Phobie oder Depression bezeichnet wird, wirklich eine ist. Man neigt da sehr zum Überdramatisieren - und nimmt dann denen, die wirklich davon betroffen sind, die Ernsthaftigkeit.

 

Wo sind die Entschlusskraft und der Wille zum Durchbeißen unserer Vorgängergenerationen geblieben? Sind sie im Wohlstand ersoffen? Ein bisschen Dankbarkeit wäre angebracht, für die Opfer, die unsere Eltern so oft dafür brachten, dass es uns so gut ging. Mal die Hemdsärmel hochrollen, tapfer voranschreiten und die Erwartung begraben, dass uns das, was wir wollen schon von irgendwoher zufliegen muss. Statt sich im Geheule zu üben und diejenigen zu untergraben, die tatsächlich täglich um ihre seelische Gesundheit kämpfen müssen und echte Gründe dafür vorweisen können.

 

Tut mir leid für jeden, der sich jetzt angegriffen fühlt - und es wird sich garantiert jemand finden, denn im über jeden Scheiß beleidigt sein sind wir Kinder der 70er auch ganz groß. Besonders, wenn jemand mal sagt, was er eigentlich denkt. Aber ich garantiere, dass dieser Artikel auch dem ein oder anderen aus der Seele sprechen wird, dem das ewige Verständnis heucheln langsam aber sicher gegen den Strich geht.



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