Heimweh


Eine Rose für die Dame
Eine Rose für die Dame

Heute ist einer dieser heimwehkranken Tage. Ich vermisse das Rauschen der Wellen, die Berge und ganz besonders diesen Menschenschlag, der jeden noch so banalen Tag zu etwas besonderem macht. In Italien passieren mir Dinge, die meine Zeit dort wie einen kitschigen 50er Jahre Film wirken lassen - und die der Durchschnitts-Deutsche mir nie angedeihen ließ. Dieses Jahr konnte ich nicht bis zum Sommer warten und bin schon im Januar an den Lago Maggiore gereist. Gleich an meinem ersten Morgen hatte ich in Pallanza eine zauberhafte, wenngleich sehr kurze Begegnung mit einem völlig Fremden, die mich immer noch fasziniert.

 

Ich lief an der Uferpromenade entlang und ein Wagen der Stadtreinigung fuhr an mir vorbei. Der Fahrer grinste breit und ich gab mein strahlendes Italien-Lächeln zurück - was mir im Land der Träume nie schwer fällt. Dann verschwand er außer Sicht und ich setzte meine Wanderung in Richtung des Hafens von Intra fort. Nach einer kleinen Weile fuhr das Auto wieder an mir vorbei und hielt am Straßenrand. Der Mann im Innern beugte sich zum Beifahrerfenster, ließ es herunter und rief mich herüber. "Bella Signorina, vieni qui per un momento." Ich ging herüber und er hielt mir freudestrahlend eine pinke Rose entgegen. Überrascht nahm ich sie an, und noch bevor ich mich großartig bedanken konnte, wünschte er mir einen Tag, der mindestens so schön sein sollte wie ich selbst und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Und ich stand da, mit der Blume in der Hand, dem Geräusch der Brandung im Ohr und feuchten Augen. Das sind die Momente, für die ich die Italiener aus tiefstem Herzen liebe. Dieser Mann wollte nichts als einer Unbekannten eine kleine Freude machen, einfach so. Kein Hintergedanke, kein unangenehmes Angraben, kein Grund für Misstrauen. Nur pures Gold für mein Ego.

 

Foto: (c) unbekannt, Hotel Eden, 1933
Foto: (c) unbekannt, Hotel Eden, 1933

Derart beschwingt ging es weiter zum Hafen, denn an Bord der Fähre warteten der Kapitän und der Steuermann meiner geliebten Mannschaft auf mich. Im Winter sind die Crews aus unverständlichen Gründen nicht dieselben wie im Sommer und so kam ich in den Genuss, zwei neue Mariner kennen zu lernen und einen alten Bekannten aus den Reisen der vorangegangenen Jahre wieder zu sehen. Wie üblich habe ich zuerst eine volle Tour auf der Brücke gemacht. Später begab ich mich zum inoffiziellen Koch in die Kombüse und lernte, wie man Kalbszunge zubereitet. Während der Herr kochte und ich fleißig notierte, was er tat, unterhielten wir uns über das Hotel Eden in Pallanza, das seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf dem Hügel an der Spitze der Landzunge Punta della Castagnola verlassen vor sich hin rottet. Er bestätigte mir, was ich schon ahnte - nämlich dass es tatsächlich keinen Zugang mehr dazu gibt. Die noch existierenden Außenwände sind von einem wahren Dschungel umgeben, den man nicht gefahrlos durchqueren kann. Allerdings hatte der Smutje zu Hause ein paar Originalaufnahmen aus der Glanzzeit des Hotels - und direkt nach Feierabend scannte er sie ein und ließ sie mir zukommen. 

 

Das sind nur zwei Beispiele von Menschen, die ich am Anfang dieses Tages noch nie gesehen hatte. Dennoch haben sie mich beide so bereichert - und aus deutscher Sicht gibt es dafür vermutlich nicht mal einen guten Grund. Hier kommt man ja kaum mit Fremden ins Gespräch. Und wenn man wagt, zu viel dabei zu lächeln, denkt das Gegenüber, man flirtet mit ihm. Von solchen Gesten mal ganz zu schweigen. Hierzulande hat man einfach zu viel Angst, sich lächerlich zu machen, wenn man spontanen Emotionen folgt. Selbstkontrolle hat einen viel zu hohen Stellenwert. Und man ist misstrauisch und vermutet potentiell Böses hinter zu viel Freundlichkeit.

 

Freundinnen
Freundinnen

Die Italiener dagegen leben fast jedes Gefühl bis zum Maximum aus. Sie können über die Maßen freundlich sein, mitreißend erzählen, hochdramatisch trauern, vor Wut explodieren und quasi orgasmisch essen. Man gibt sich Mühe, an jedem etwas Positives zu sehen. Wenn man jemanden gut leiden kann oder seine Arbeit bewundert, lässt man sich keine Gelegenheit entgehen, es ihn wissen zu lassen. Man schließt schnell Freundschaften. Manchmal sind sie kurzlebig und dauern genau einen Nachmittag und man trifft sich danach nicht mehr. Manchmal werden aber aus diesen Begegnungen Kontakte, die auch bestehen bleiben, wenn man sich wieder in unterschiedlichen Ländern befindet. Mit meinen Italienern habe ich öfter zu tun als mit den hiesigen Freunden, die in unmittelbarer Nachbarschaft leben. Der Steuermann zum Beispiel schickt mir an jedem Arbeitstag ein Foto, das an Bord aufgenommen wurde und richtet Grüße von der Mannschaft an die Schiff-Prinzessin aus. Die Mädels von meinem Team und ich schreiben einander mehrmals die Woche und tauschen die neuesten Begebenheiten aus. Eine meiner Gastgeberinnen vom See erteilt mir Italienisch-Unterricht über Skype. Meine Gast-Mutter schickt mir immer wieder Bilder von anderen Ruinen, die ich noch erkunden könnte, grüßt mich von ihrem Mann und der Oma und liest Korrektur für die italienische Version des Buches. Die Wirtin der Villa Clementina in Laveno, die meine erste Freundin am See wurde, schreibt mir sporadisch, wo sie gerade wieder das Stück meines Herzens gefunden hat, dass auf ihrem Grundstück auf Wanderschaft ist - und fügt immer hinzu, dass sie es auf den Balkon des rosa Raums - meines Zimmers, wenn ich dort nächtige - gelegt hat, damit die Strahlen der italienischen Sonne auch den Rest meines Herzens erreichen. Manchmal bekomme ich eine Postkarte aus einer der Städte am See, hin und wieder kommt sogar ein Päckchen mit Leckereien aus der Region.

 

Diese Menschen. Dazu das wundervolle Gewässer und die majestätische Gebirgslandschaft. Die mitunter abenteuerlichen Wetterkapirolen, die wechselhafte grandiose Szenerien entwerfen. Kein Aufenthalt ohne strahlenden Sonnenschein, Blitz und Donner, Regenbögen, sturmgepeitschte Wolken, nebelverhangene Morgen und sternenklare Nächte. Und dann das Essen. Wenn es Gott gäbe, hätte er gewollt, dass wir so mit dem Geschenk der Nahrung umgehen, wie die Italiener es tun.  Ich habe noch keinen Haushalt erlebt, in dem es irgendein Dosen- oder Tiefkühlgericht gegeben hätte, obwohl das durchaus im Supermarkt erhältlich wäre. Es is(s)t aber natürlich eine Frage der Ehre, selbst zu kochen - und das selbstverständlich auch gut. Jeder scheint es zu können und Gäste bis zum Anschlag abfüttern zu wollen. 

 

Heute ist einer dieser heimwehkranken Tage. Ich werde jetzt Pasta essen, mich danach irgendwo draußen ans Wasser setzen, Wein trinken, rauchen und ein bisschen melodramatisch sein. Der italienische Teil meiner Seele besteht darauf.


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