Couchsurfing - oder die Fremden auf meinem Sofa


Ich gehe mit meinen Gäste gern mal auf den Spielplatz
Ich gehe mit meinen Gäste gern mal auf den Spielplatz

Auf meinen Reisen war ich immer schon generell häufiger in Privathaushalten zu Gast als in einem Hotel. Das waren mal Freunde meiner Eltern in Kanada oder Verwandte, die rund um die Welt verstreut waren. Leute, die ich unterwegs kennengelernt hatte oder auch mal Fremde, wie zum Beispiel beim Schüleraustausch 1993 nach England oder auf Sprachreisen. Manchmal war ich auch allein in den Häusern oder Wohnungen der jeweiligen Gastgeber, wenn diese selbst verreist waren und jemanden brauchten, der sich um die Katze oder die Pflanzen kümmerte. Und auch in meinem Elternhaus und in meinen eigenen Wohnräumen, waren mehrmals jährlich Leute aus den unterschiedlichsten Nationen und Gründen zu Gast. Couchsurfing wurde vor einem Jahr für mich eine willkommene Erweiterung dieses Prinzips.

 

Bei mir zu Hause waren inzwischen 16 Couchsurfer. Zwei stammten aus Deutschland, der Rest aus der Türkei, Indonesien, Indien, Amerika, Argentinien, Brasilien, Frankreich, Italien, Syrien, Australien, Thailand, Schweden, Spanien und England. Aufgenommen wurde ich in sechs Haushalten rund um den Lago Maggiore und einem im Schwarzwald. Und ich traf auf Reisen auch noch einige andere aus dem Netzwerk, die sich erboten hatten mir ausgewählte Orte zu zeigen, die allein und zu Fuß oder auf dem Rad eher schlecht zu erreichen waren.

 

Aus dieser Gruppe von knapp 30 Menschen hätte ich nur auf zwei Personen bequem verzichten können. Eine aus Franken kommende laktoseintolerante, Fett und Zucker vermeidende auf-Gluten-Verzichterin, die ich beherbergte. Die nur gaaaaaanz selten ungesundes Fleisch isst und von Zigarettenrauch augenblicklich entzündete Nebenhöhlen kriegt, selbst wenn er aus dem Nebenraum kommt. Und ein aus der Schweiz stammender Möchtegern-Casanova, der sich als Fremdenführer angeboten hatte und dann mit stolzgeschwellter Brust in breitestem Schwiitzerdütsch seine Vorzüge anpries, bis zum geht-nicht-mehr baggerte und dabei willentlich übersah, dass ich weder interessiert noch annähernd Teil seiner Generation war.

 

Ansonsten habe ich nur gute Erfahrungen machen dürfen. Meine eigenen entzückenden Gastgeber habe ich ja schon einmal beschrieben, ich erspare Euch die Wiederholung und erzähle heute mal was von meinen nicht weniger zauberhaften Gästen - und warum es so schön ist, Fremde in sein Haus zu lassen.

 

Es gab viele, denen es wirklich nur um einen Schlafplatz ging. Der Kontakt mit ihnen beschränkte sich darauf, manchmal abends zusammen zu essen und sich vor dem Schlafengehen zu unterhalten. Das ist okay, die Gespräche sind immer interessant und ich kann nachvollziehen, dass man im Urlaub eigene Pläne hat. Meine Lieblingsgäste sind aber diejenigen, mit denen ich etwas mehr Zeit verbringen und die ich näher kennen lernen kann.

 

Einer von ihnen kam aus Istanbul und war ganz versessen auf deutsche Backwaren aller Art. Nachdem ich selbst im Schwarzwald von meiner Gastgeberin einmal eigens für die berühmte Kirschtorte ins Hotel Ochsen eingeladen worden war, konnte ich ihm die lokale Variante meiner Stadt nicht vorenthalten. Und da ihm der Vergleich fehlte, fühlte er sich wie im Konditorhimmel. Er bewies sich als wahre Vernichtungsmaschine für Kuchen und zog sich auch noch Bienenstich und Frankfurter Kranz rein. Ich war von ihm mindestens so fasziniert wie er vom Zuckerwerk. Als er schlief habe ich ihm für die Abreise Käsekuchen-Muffins gebacken und ihn morgens damit überrascht. Er hat gegrinst wie ein Honigkuchenpferd. Entschuldigt die abgedroschene Phrase, aber sie passt hier so außerordentlich schön.

 

Dann gab es einen Besucher aus Indien, der etwas länger bei mir blieb. Er hatte ein Semester hier studiert. Sein Professor hatte ihn gebeten, noch etwas länger zu bleiben und in dieser Zeit lief sein Mietvertrag mit dem Studentenwohnheim aus. Für die letzte Woche suchte er nach einer Unterkunft. Er weckte bei seiner Ankunft alle meine verschollen geglaubten Mutterinstinkte. So ein junger Mann, gerade 21. Allein am anderen Ende der Welt, ohne Kenntnisse der Landessprache, Dach über dem Kopf und nennenswerte Geldsumme im Portemonnaie. Überdies hatte er hier nicht viel gesehen, sondern war fast ausschließlich mit Lernen beschäftigt gewesen und bis auf wenige Wochenendtrips kaum über den Campus hinaus gekommen. Aber ein blitzgescheiter Mensch mit einem abgrundtiefen Humor und schneller Auffassungsgabe.

 

Er hatte Lebensmittel aus dem Wohnheim mitgebracht, die nicht bei seinem Auszug in den Müll wandern sollten - allesamt aus den indischen Supermärkten der Stadt. Er zeigte mir, was man mitsamt meinen beigesteuerten Zutaten daraus kocht und wir aßen ein königliches Festmahl in vier Gängen. Im Laufe seiner Woche bei mir gingen wir auch auf den Weihnachtsmarkt, denn den kannte er überhaupt noch nicht. Mit leuchtenden Augen und richtigem Kinderblick schwebte er durch die Menschenmenge. Zuckerwatte, gebrannte Mandeln, kandierte Äpfel wurden probiert und für großartig befunden - Blätterkrokant und Mozartkugeln führten anschließend geradezu ekstatische Zustände herbei. Eine Band spielte auf und mein Gast tanzte glücklich zu deren Musik in der Fußgängerzone. In der Altstadt bestaunte er die mittelalterliche Architektur und den dazu passenden Teil des Weihnachtsmarkts. Als wir Met-beseelt von dannen zogen, ließ er seiner Begeisterung in einem langen Redeschwall freien Lauf und ich hatte das gute Gefühl, jemandem ein Erlebnis verschafft zu haben, an das er noch lange denken wird. Als er abreiste, schenkte er mir seinen Schlüsselanhänger - einen kleinen Eiffelturm, den er eigentlich für sich selbst in Paris gekauft hatte. Ich war von dieser Geste sehr gerührt und halte dieses Präsent in allerhöchsten Ehren.

 

Ganz aktuell hatte ich eine junge Frau aus Indonesien hier, leider nur für zwei Tage. Mit ihr hätte ich es auch locker eine Woche aushalten können. Auch mit ihr habe ich gekocht und mich in die Geheimnisse ihrer landestypischen Küche einweihen lassen. Kleiner Rat am Rande: wenn eine Indonesierin Euch fragt, ob Ihr gern scharf esst, meint sie nicht dasselbe scharf wie Ihr. Meine Fresse, was hat mir der Rachen gebracht - und ich stehe schon ziemlich auf Chilis. Während mir das Wasser aus den Augen lief und mein Gesicht eine tiefrote Färbung annahm, lag mein Gast vor Lachen unterm Tisch. Dennoch war es ein köstliches Gelage, das wir gestern Abend abgehalten haben.

 

Heute waren wir dann gemeinsam unterwegs, und sie wollte nichts sehen, was Touristen sonst zu Gesicht bekommen. Also brachte ich sie in eine leerstehende Fabrik. Sie erwies sich als vollkommen angstfrei und sehr neugierig und wir erkundeten das Gebäude vom Keller bis zum Dach. Jeden Winkel hat sie inspiziert und gefilmt, schoss wie eine Flummi von einer Ecke zur anderen und freute sich ein Loch in den Bauch. Auf dem Rückweg fanden wir noch eine Spielplatz-Seilbahn - und die gibt es in Indonesien nicht. Wir haben mindestens eine Stunde damit verbracht, uns kichernd und vor Vergnügen quietschend auf dem kleinen Sitz-Teller abzuwechseln und das Stahlseil entlang zu sausen. Das war ganz großes Kino.

 

Neben der Tatsache, dass man selbst immer untergebracht wird und günstig Urlaub machen kann, sind solche Tage mit Gästen das Beste am Couchsurfen. Wenn man die Möglichkeit hat, jemandem etwas zu zeigen, dass vollkommen neu für ihn ist und ihm gefällt. Wenn man zu einem kleinen, aber schönen Teil der Reiseerinnerung eines anderen wird und spürt, dass man einem anderen Freude bereitet. Ich kann mich nur dem anschließen, dass meine Gast-Eltern in Italien immer sagen: "Es gibt wahrscheinlich kein besseres Gefühl als den Moment in dem man gerade jemanden total glücklich macht."



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