Nachbarn aus der Hölle


Techno-Bratze
Techno-Bratze

Während ich dies schreibe, werde ich zum ungezählten Mal vom Bass meiner von Herzen verhassten Nachbarn beschallt. Mir ist völlig egal, wie spießig das für den einzelnen klingen mag - aber ich habe absolut kein Verständnis für Leute, die total in ihrer eigenen kleinen Welt leben und dabei keinerlei Rücksicht darauf nehmen, dass sie nicht allein auf diesem Planeten existieren. Ich habe das Pech, dass ich in meiner jetzigen Wohnung gleich an zwei solcher Pflegefälle geraten bin. Zuerst war da Techno-Bratze, eine Mittzwanzigerin mit der Sozialkompetenz einer Scheibe Toast und den Manieren eines Schimpansen mit Tollwut.

 

Ich wohne in der Mitte dreier Häuser, die durch Türen im Keller miteinander verbunden sind. Es ist ein hellhöriges Nachkriegsgebäude mit Hohlziegeln in den Wänden. Man ist also auch schon unter völlig normalen Umständen immer bestens darüber informiert, wann der Wecker der Nachbarn geht, wann sie die Toilette aufsuchen oder duschen gehen. Telefonate oder Gespräche mit Besuchern kann man gelegentlich auch Wort für Wort verstehen, wenn der Sprecher mal lauter ist als Zimmerlautstärke. Alles in allem herrscht hier also eher das Gefühl einer großen Wohngemeinschaft statt der Privatsphäre einer eigenen Wohnung. 

 

Techno-Bratze war das eh egal, sie war nämlich einer der oben beschriebenen Menschen. Sie spielte in ihrer Dachgeschosswohnung laut bis in die Keller vernehmbar ihre bevorzugte Musikrichtung. Und zwar zu jeder Tages- und Nachtzeit. Bei ihr zu klingeln half nicht, das hörte sie entweder nicht oder verweigerte die Begegnung. Die Polizei kam so einige Male, erreichte aber auch nur, dass eine halbe Stunde Ruhe war, bevor alles wieder von vorn losging. Der Vermieter schüttelte nur den Kopf, murmelte was von ihren Rechten als Mieterin. Lange Zeit war dies das einzige Ergebnis. Wir anderen Hausbewohner mussten eine Ewigkeit einfach damit leben oder die Kosten und den Stress eines Umzugs in Kauf nehmen.

 

Es eskalierte allerdings immer mehr. Zunächst wurde diese Frau schwanger, was die Situation extrem verschlimmerte. Denn natürlich war ihres ein vernachlässigtes verlorenes Baby, wie es sie zu viele gibt. Das Utz-utz hallte weiterhin durch die Mauern, nun vermischt mit dem Geschrei eines Babies, das nie zum Schlafen kam und dem Gekeife einer jungen Mutter, die ihre neue Aufgabe offensichtlich richtig scheiße fand. Nach zehn Monaten nahm das Jugendamt ihr das Baby weg. Nun fühlte sie sich nicht fair behandelt und schrie Zeter und Mordio. Genutzt hat ihr das immerhin nichts. Soweit ich weiß, sieht sie die Kleine nicht mal mehr.

 

Nachdem das Kind weg war, drehte Techno-Bratze vollkommen durch. Neben dem üblichen Verbreiten von Lärm, begann sie nun auch, ihre Mülltüten aus dem Fenster zu werfen. Wer das einsammelte und zum Container brachte, war ihr dabei schlicht und ergreifend egal. Es brauchte aber erst eine handfeste Sachbeschädigung ihrerseits, bis der Vermieter trotz aller vorher gesammelten Klagen endlich mal in die Schuhe kam.

 

An einem Weihnachtsabend - nachdem die Nachbarin in der Wohnung unter ihr frisch renoviert hatte - war Techno-Bratze mal wieder sauer auf uns alle. Immerhin waren ja wir diejenigen, die ihr das Leben schwer machten, während sie doch nie auch nur einer Fliege etwas zuleide tat. Bevor sie dahin fuhr, wo immer so ein Mensch an den Feiertagen willkommen ist, entfernte sie die Fliesen in der Halterung an der Badewanne, hinter denen ein Klempner an die Leitung kommt. Dann schlug sie mit einem Hammer das Rohr ab, stellte den Wasserhahn an, legte eine CD auf Dauer-Wiederholung in die Stereoanlage , drehte die Lautstärke auf und begab sich auf ihre dreitägige Reise. Kein Witz!

 

Nachdem wir also alle wieder einmal den ganzen Tag das Gedudel ertragen mussten, begann früh abends in der Wohnung unter dem zerstörten Rohr das Wasser von den frisch renovierten Wänden zu laufen. In der Folge musste an Heiligabend der Haupthahn für alle drei Häuser abgestellt werden und duschen und baden konnten wir alle vergessen. Und hat schon mal einer von Euch versucht, ein ganzes Weihnachtsmenü ohne Wasser zu kochen? Vom Abwasch danach ganz zu schweigen.

 

Endlich wurde dieser völlig missratenen Person die Wohnung gekündigt. Aber natürlich zog sie nicht aus. Nein, sie ließ sich rausklagen. Weiß der Teufel, welchen Vorteil sie sich davon versprach. Nun flogen neben Mülltüten auch entsorgte und zerkleinerte Möbelstücke aus den Fenstern der Dachgeschosswohnung. Einmal warf sie sogar einen Spiegel auf den Nachbar-Balkon, während sich dort jemand aufhielt. Und dann gab es noch die Episode, in der sie ihren neuen Freund nachts durchs Gebäude schickte, um Fäkalien auf den Fußmatten zu hinterlassen.

 

Als sie endlich auszog, begegnete mir ihre Mutter und schleuderte mir ein leicht überdrehtes "Guten Tag" ins Gesicht. Ich fragte, ob ihre Tochter nun gerade im Umzug begriffen sei, was sie bejahte. Darauf konnte ich nur erwidern, dass es ja dann tatsächlich noch ein guter Tag werden könne. Sie wurde zickig und fragte. "Wie meinen Sie das denn jetzt?" Daraufhin sagte ich, wir könnten nun eine Stunde damit verbringen, über Kindererziehung und was sie dabei alles falsch gemacht hat, zu reden. Oder aber ich könne jetzt auch einfach gehen. Sie machte den Weg frei und das war das Ende der Geschichte von Techno-Bratze. Na ja, fast. Natürlich ließ sie alles im Vorgarten stehen, was sie nicht mehr zu brauchen meinte und wir mussten alle noch ein paar Tage darauf gucken.

 

Dann war endlich Ruhe. Eine kleine Weile zumindest. Und natürlich abgesehen von den sonstigen Geräuschen der Stadt um einen herum, die man auch nicht auf Wunsch abstellen kann. Aber es war einigermaßen auszuhalten. Und obwohl ich schon oft vorher darüber nachgedacht hatte, einfach meinen eigenen Standort zu wechseln, blieb ich doch dort wohnen. Die Miete ist außerordentlich gering und niemand schützt mich davor, dass ich in der nächsten Wohnung nicht ähnliche Erfahrungen mache. Genau genommen, hatte ich in dieser Stadt bisher in jeder Wohnung laute nervtötende Nachbarn. Nur vorher noch niemanden in der Qualität von Techno-Bratze.

 

Einige Zeit nach deren Auszug wurde die Wohnung unter mir dann allerdings frei - und es scheint als würde sich mit den Leuten, die da einzogen ein gewaltiger Teil meiner persönlichen Hölle wiederholen. Diesmal mit Punk-Penner und seiner Lebensgefährtin. Die gehören zu den entzückenden alkoholkranken Leuten, die man täglich in jeder Großstadt vor zahlreichen Supermärkten sieht - mit einer Bierflasche in der Hand. Grölend. Gern mit einer mitgebrachten Möglichkeit, mit seiner Musik auch die Leute auf der Straße in den Wahnsinn zu treiben. Und natürlich mit großen Hunden, die sie nicht im Griff haben.

 

Diese Horde war gestern Abend gesammelt zu Besuch bei den Nachbarn, die gern und häufig feiern - haben sie auch sonst nicht viel zu tun. Und genau deren Bass ist es, der nun schon wieder durch den Boden zu mir hoch dringt. Diese beiden wohnen nun auch schon wieder eine ganz Zeit lang hier. Und erneut finde ich mich in der Position, auch schon mal nachts um halb vier an einer Tür klingeln zu müssen, bis der dahinter mich über die Musik hinweg hört. Dann muss ich den Geruch ertragen, der aus dieser Wohnung dringt und mich diesem völlig besoffenen Mann stellen. Und möglichst freundlich muss ich auch bleiben, denn wenn ich mir meine Wut anmerken lassen, beiße ich auf Granit. Das erfordert mehr Selbstbeherrschung von mir als man sich vorstellen kann. Eigentlich würde ich nämlich in solchen Momenten wirklich gern Backpfeifen verteilen und Schlimmeres. Aber immerhin sind wir noch nicht wieder an dem Punkt, an dem Unrat aus den Fenstern fliegt. Nur den Geruch ungezählter Bierflaschen mit abgestandenen Resten, die auf deren Balkon stehen, muss man halt ab können, wenn man auf seinem eigenen sitzen will.

 

Nun denke ich zum x-ten Mal darüber nach, doch auszuziehen und rechne hin und her. Die Mietpreise sind gestiegen, für eine ähnliche geschnittene neue Wohnung müsste ich locker 100 bis 120 Euro mehr im Monat zahlen. Wenn ich mich darauf einlasse, muss ich auf meine Reisen nach Italien verzichten. Das könnte ich mir dann nicht mehr leisten. Außerdem plane ich die Auswanderung innerhalb der nächsten fünf Jahre. Lohnt sich da der Aufwand noch? Oder ist es besser noch ein wenig durchzuhalten und das Risiko eines frühen Schlaganfalls in Kauf zu nehmen, bis ich endlich auf irgendein Bergdorf am See ziehen kann? Ich bin hin- und her gerissen. Und finde es, nebenher bemerkt, eine Frechheit, dass ich diejenige bin, die sich mit solchen Gedanken tragen muss - und nicht das rücksichtslose Pack, dass allem um es herum den letzten Nerv stiehlt.

 

Ende der Schimpftirade. Gerade ging unten die Musik aus. Vielleicht herrscht ja gerade lange genug Stille für ein beruhigendes Schaumbad.



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Kommentare: 2
  • #1

    Jürgen (Sonntag, 07 Februar 2016 12:21)

    Wenn ich nicht selbst schon Ähnliches erlebt hätte (Techno-Bratze in männlicher Form aber leider mit nahezu unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten als missratener Sohn eines Zahnarztes der seinem Spross mal eben kurzerhand in eine Einzimmerwohnung gekauft hat um den Terroristen loszuwerden) würde ich behaupten du übertreibst. So kann ich leider alles nachvollziehen

  • #2

    Schiff-Prinzessin (Sonntag, 07 Februar 2016 14:52)

    Wenn ich das nicht selbst erlebt hätte, würde ich ebenfalls denken, es kann nicht wahr sein.