Die Prinzessin auf dem Bergle


Cascate di Cittiglio, Monte Sasso del Ferro, ca. 474 Meter
Cascate di Cittiglio, Monte Sasso del Ferro, ca. 474 Meter

Wenn mir vor zehn Jahren jemand erzählt hätte, dass ich eines Tages regelmäßig dahin reisen würde, wo Berge die Kulisse bestimmen, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Tatsächlich stellte sich aber heraus, dass die Gebirgsketten der Voralpen, an deren Fuß mein geliebter See liegt, eine regelrecht unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich haben. Ich muss sie bezwingen - und zwar auf jede Art, die mir möglich ist. So habe ich einige Abenteuer erlebt. Genau genommen war ich auch einige Male in echter Lebensgefahr - und manchmal war ich mir dessen im Verlauf des Geschehens sogar bewusst. Es ist übrigens sehr unterschiedlich, wie man dabei empfindet. Das ist nämlich abhängig von dem Zeitraum, den man zur Verfügung hat, um es zu realisieren. Wenn man wie ich bei den Cascate di Cittiglio ausrutscht und 20 Meter in die Tiefe fällt, reicht die kurze Dauer des Sturzes nur für den naiven Wunsch, der Aufprall möge nicht so weh tun. 

Rocca di Caldè, Castelvaccana, 371 Meter
Rocca di Caldè, Castelvaccana, 371 Meter

Ein anderes Mal aber hing ich wie ein x in einer Wand und sah einfach keine Möglichkeit, meine Hände und Füße noch irgendwo anders zu platzieren. Laut meiner Kamera, die automatisch alle neun Sekunden ein Foto machte, war ich etwa eine Viertelstunde in dieser Lage. Da habe ich wirklich Zeit gehabt, Angst zu entwickeln. Meine Gedanken flogen panisch in meinem Kopf herum. Zunächst. Aber irgendwann wurde ich ruhiger, fast stoisch. Und beinahe akzeptierte ich das unausweichliche Ende, solange ich nur nach links sah und auf die weit entfernte Wasseroberfläche blickte. Ich kann nicht erklären, wie ich doch noch von der Stelle kam. Ich schiebe es mangels anderer Interpretationsmöglichkeiten auf den schieren Überlebensinstinkt. Mein Hirn spielte mir einen grässlichen 90er Jahre Disco Hit vor. "The Only Way Is Up" von Yazz. Und während ich davon abgelenkt war, bewegten sich meine Extremitäten wie von Zauberhand und trugen mich nach oben, wo ich dieses Foto machen konnte.

 

Der Teil des Felsens, den man hier sieht, ist natürlich nicht 371 Meter hoch, sondern etwa 90. Bei der Grünfläche darunter handelt es sich um ein Plateau. Unter diesem setzt der Berg sich noch fort. Nur zur Information, ich habe es recherchiert: jede Erhebung über 300 Meter Höhe ist kein Hügel mehr. Wart in also schon einmal höher als das, dann seid Ihr Bezwinger eines Berges. 

Monte Campo dei Fiori, 1227 Meter
Monte Campo dei Fiori, 1227 Meter

Bequemer, aber durchaus auch hin und wieder gefährlich, ist es mit dem Auto. Gegenverkehr ist auf Fahrbahnen wie diesen nicht wünschenswert. Der Campo dei Fiori ist Teil des gleichnamigen Nationalparks, zu dem auch der 1032 Meter hohe Monte Martica und das zwischenliegende Tal Valle Rasa gehört. 

 

Wie Ihr seht, war ich hier nicht allein, sondern saß schön gemütlich auf einem Beifahrersitz. Natürlich sind wir auch ausgestiegen und haben eine kleine Wanderung gemacht. Wie vielerorts rund um den See herrschten hier in erster Linie die Laute der Natur. Wind in den Wipfeln, das Rauschen der Blätter, der Gesang der Vögel und das Gebrumm von allerlei Insekten. Hin und wieder durchsetzt von dem Schnaufen eines Mountainbikers oder dem Geräusch eines der selten vorbei fahrenden Autos. Die meiste Zeit aber sieht und hört man keine anderen Menschen. Diese Einsamkeit ist in meiner alltäglichen Umgebung nicht zu finden. Vielleicht sehne ich mich in erster Linie deshalb bei meinen Reisen so danach. 

Seilbahnstation Poggio Santa Elsa, Monte Sasso del Ferro, 806 Meter
Seilbahnstation Poggio Santa Elsa, Monte Sasso del Ferro, 806 Meter

Der einfachste aller Wege nach oben dürfte eine der Seilbahnen sein, die man hier und dort am See findet. Die erste, die ich je benutzt habe, war in Laveno Mombello und brachte mich auf 806 Meter Höhe auf den Monte Sasso del Ferro. Das war überhaupt das allererste Mal, dass ich auf einem Berg war - und ich fand es überwältigend. Auf einer Seite blickt man zum Lago di Varese und dem kleineren Lago di Monate. Übertroffen wird dieser Anblick auf der anderen Seite. Hier blickt man über etwa drei Viertel des Lago Maggiore und hinüber ins Piemont, auf das schneebedeckte schweizerische Wallis und den ebenfalls verschneiten Gipfel des zweithöchsten Berg Italiens - dem Monte Rosa mit 4634 Metern Höhe.

 

Von der Station Poggio Santa Elsa kann man noch zum Gipfelkreuz auf 1062 Meter Höhe steigen, das habe ich später auch mal gemacht. An dem Tag herrschte echtes Sauwetter und so kam ich erstmals im Leben dazu, tatsächlich auf Wolken zu gehen. Vielmehr darin, denn meine Füße verschwanden einfach in Weiß. Ebenso der erwartete Anblick der drei oben genannten Gewässer. Hin und wieder riss der Wind ein kleines Loch in die dichte Wolkendecke und ich bekam Teil-Perspektiven des sonstigen Panoramas zu sehen. Alles in allem war das ein sehr skurriles Erlebnis. Nicht zuletzt deswegen, weil ich neben dem Gipfelkreuz in einem mitgebrachten albernen Dirndl posierte. Ich habe als Kind zu oft "Sisi" gesehen, daran muss es gelegen haben. Auf jeden Fall empfehle ich eine Tour mit der Seilbahn ausdrücklich auch bei schlechtem Wetter. 

Monte Mottarone, 1491 Meter
Monte Mottarone, 1491 Meter

Diesen Rat hätte ich auch bezüglich der Seilbahn von Stresa auf den Monte Mottarone geben können - wäre sie denn noch in Betrieb. Man kann das Gipfelkreuz in 1491 Metern Höhe aber auch mit dem Auto über eine mautpflichtige Straße erreichen. So oder so ist es die Kosten wert. Es gibt sogar eine kleine Gipfel-Achterbahn. Als ich zum ersten Mal dort oben war, verpasste ich die letzte Seilbahn nach unten und war ganz allein an dieser Stelle. Es war ein Tag, an dem der Wind die Regenwolken immer wild von einer Stelle zur anderen verschob. Mal stand ich im strahlenden Sonnenschein, mal verdunkelte sich alles um mich herum - und einmal bildete sich knapp unter mir ein Regenbogen. Womit ich offiziell schon einmal "Somewhere Over The Rainbow" war. Wer mich kennt, ahnt bereits, dass ich dieses Lied natürlich auch vor mich hin gesungen habe.

 

Beim zweiten Mal brachte mich ein freundlicher Italiener mit dem Auto hierher, wie bereits in einem anderen Artikel beschrieben. An jenem Abend sah ich hier die Sonne untergehen und die Nacht hereinbrechen. Das ist meine liebste Stunde am See - wenn die Dunkelheit sich anschleicht und alles in das schönste Blau der Welt hüllt. Wenn die ersten Lichter in den Orten eingeschaltet werden und ihr reflektiertes Glitzern über die bewegte Wasseroberfläche tanzt. Wenn sich kurz darauf Schwärze wie eine Decke über den Himmel legt und die ersten Sterne funkelnd am Firmament erscheinen. Ich finde, das muss man gesehen haben. 

San Clemente, Monte Sangiano, 532 Meter
San Clemente, Monte Sangiano, 532 Meter

Ein anderer Platz, den ich Reisenden an den Lago Maggiore immer ans Herz lege, ist der Aussichtspunkt San Clemente auf dem Monte Sangiano in Höhe von 532 Metern. Hierhin kann man relativ leicht wandern, es gibt je eine Strecke aus dem Dorf Sangiano und der Stadt Laveno Mombello. 

 

Ich war dort mit einem Bekannten an einem frühen Wintermorgen, als die Ortschaften am Fuß des Berges noch größtenteils noch in tiefem Schlaf lagen. Nebel wallte zartrosa über die hügelige Landschaft, die sich in Richtung Angera unter uns ausbreitete, während auf der anderen Seite in der Bucht von Laveno die Sonne bereits golden schien. Das Farbenspiel über den verschiedenen Stellen des See, die man sehen konnte, war jenseits von allem, was ich aus noch so bunt bemalten Städten kannte. Es hatte etwas sehr majestätisches, obwohl man dies eigentlich nur den wirklich hohen Bergen unterstellt. Als die durchscheinenden Farben der Frühe langsam dem normalen Tageslicht wichen, erwachte auch die Betriebsamkeit unter den Menschen und die Orte begannen sich zu regen. Es wurde Zeit für meinen Begleiter, zu seinem Tagesgeschäft zurückzukehren. Unnötig zu sagen, dass ich dort oben noch lange hätte bleiben können. 

Passo di Cuvignone, Monte Sasso del Ferro, 1036 Meter
Passo di Cuvignone, Monte Sasso del Ferro, 1036 Meter

Seilbahn und Auto waren einfach, na klar. Wandern ging in Ordnung. Klettern war eine ziemliche Herausforderung gewesen. Darüber hinaus gab es aber noch eins, was ich unbedingt einmal im Leben gemeistert haben wollte - mit einem Rad auf einen Berggipfel über 1000 Meter Höhe zu fahren. Und so unfassbar es ist - nach einer Testfahrt nach Monteggia auf Höhe von 394 Metern habe ich genau das getan. Ich kann ohne Übertreibung sagen, dass dies das schmerzhafteste Erlebnis war, das ich je hatte. Ich habe acht Pausen gebraucht und mir tat alles weh, sogar die Haare. Und geheult habe ich auch. Aber ich kam oben an, am Passo di Cuvignone auf dem Sasso del Ferro, Höhe: 1036 Meter. Abgesehen davon, dass auch hier die Aussicht mal wieder absolut großartig war, erlebte ich auch einen enormen Adrenalinrausch. Ich habe mich ganz schön selbst abgefeiert, das muss ich zugeben.

 

Allerdings war ich auch dieses Unterfangen recht naiv angegangen, hatte ich doch nicht im Mindesten darüber nachgedacht, wie es sein würde, diese Strecke bergab zu fahren. Das ist ziemlich angstbesetzt, denn es fühlt sich an als würde das Rad unterm Arsch circa 70 Stundenkilometer fahren - mit zwei angezogenen Bremsen. Das Herz rast etwa genauso schnell. Kurven sind immer schmaler als sie aussehen, und Gegenverkehr ist ausnahmslos jedes Mal ein Beinahe-Herzinfarkt. Ich habe es allerdings überlebt, wenn auch gefühlt nur sehr knapp. Ob ich das je wieder tun werde, weiß ich allerdings nicht.

Weitere sehenswerte Berg-Momente:



Kommentar schreiben

Kommentare: 0