Zu Gast bei der Liebe


Schatten unserer Selbst - die weltbesten Gastgeber und ich
Schatten unserer Selbst - die weltbesten Gastgeber und ich

Dank Couchsurfing und ähnlichen Konzepten aus der Zeit vor dem Internet war ich bei den meisten meiner Reisen nicht in Hotels, sondern zu Gast bei Einheimischen. In verschiedenen Ländern war ich bei sehr unterschiedlichen Familien untergebracht, die aber alle eines gemeinsam hatten: sie waren offen und vertrauensvoll genug, eine Fremde aufzunehmen. Sie alle teilten ihr Haus, ihre Zeit und ihr Essen mit mir. Zeigten mir Orte, die bemerkenswert waren. Jeder von ihnen gab mir etwas mit auf den weiteren Lebensweg, und ich blicke mit Freude und Dankbarkeit auf die Tage und Wochen zurück, die ich im Leben dieser Menschen ein kleiner Teil sein durfte.

 

Ich trage Erinnerungen an viele Leute in Herz und Geist. Dort habe ich einen besonderen Platz, an dem ich die unzähligen Gesten der Freundlichkeit aufhebe, die mir zuteil wurden - und seien sie noch so klein. Für Zeiten, in denen ich an der Menschheit und ihren Fehlern im Allgemeinen verzweifle. Für Momente, in denen ich mich ungeliebt und allein fühle. Dann tut es gut, sich hin und wieder an diesen Platz zurück zu ziehen und sich daran zu erinnern, wie viele tolle Seiten der einzelne Mensch hat. Und wie viel Freude er daran hat, diese auch zu zeigen. Achtet mal beim nächsten Mal drauf, wenn Euch jemand was Gutes tut. Je erfreuter Ihr seid, umso mehr strahlt auch er oder sie. Es gibt wahrscheinlich kein besseres Gefühl als den Moment in dem man gerade jemanden total glücklich macht. Das jedenfalls sagen die Gastgeber immer, von denen ich stellvertretend für alle erzählen möchte.

 

Beste italienische Küche
Beste italienische Küche

Durch puren Zufall fand ich dieses ältere italienische Paar. Ich hatte bei Couchsurfing deren Tochter angeschrieben. Die war aber nicht im Lande, gab mir jedoch die Telefonnummer ihrer Mutter - mit der Bemerkung, dass ihre Eltern ausschließlich italienisch sprachen. Der Gedanke, dort anzurufen und telefonisch erklären zu müssen, was ich möchte, hat mich zunächst ein bisschen erschreckt. Aber die Suche nach Gastgebern lief ein wenig schleppend. Und was hatte ich schon zu verlieren? Zum Glück war die Signora auch bereits im Bilde, als ich endlich den Hörer abnahm. Sie machte mir klar, dass ich eine Woche bei ihnen bleiben könnte. Was wir beide nicht wussten: dies war der Beginn einer ungeahnten Freundschaft zwischen mir und diesem Paar.

 

Ich nenne ihr Haus im Geiste Villa Farfalla, in Anlehnung daran, dass wir uns gemeinsam über diesen Witz vor Lachen weg geschmissen haben. Es ist ein Zuhause voller Licht, Wärme, Liebe und dem ewig währenden Duftes des Besten, was die italienische Küche zu bieten hat. Die Herrschaften des Hauses wurden von mir alsbald mit dem ehrenwerten und nur einmalig zu vergebenden Titel der Gast-Eltern belegt - denn sie ließen mir genau so viel Fürsorge und Nahrung zukommen wie meine eigenen Eltern es stets taten. 

 

Hausgemachte Pizza
Hausgemachte Pizza

Wenn ich also über meine Gast-Eltern erzähle, ist Essen unweigerlich ein großes Thema. Hier macht der Gast-Vater alles selbst. Er hält Hühner und Hasen, hegt und pflegt einen riesigen Gemüsegarten. Hier zieht er beispielsweise Hülsenfrüchte, erntet und trocknet sie, mahlt sie zu Mehl und backt daraus im hauseigenen Holzofen das Brot. Natürlich wird dieser Ofen auch für Pizza genutzt. Auf der Terrasse zu sitzen, über den See zu blicken und dabei immer wieder Stücke unterschiedlich belegter Pizza in die Hand gedrückt zu bekommen, ist ein Traum. Ich kann sie auch immer noch schmecken.

 

Hier ist eigentlich alles hausgemacht. Wein, Grappa und Bier sowieso. Ebenso Brot und Pasta. Auch Käse, Speck und Salami. Was der Hausherr nicht auf dem eigenen Grundstück herstellen kann, macht er in Kooperation mit weiteren Nachbarn in gemieteten Räumen.  Die Eier kommen frisch aus dem Stall, alles Gemüse und Obst direkt aus dem Garten. Marmelade, eingelegte Früchte, Tomatensaucen und viele weitere Kostbarkeiten füllten die Speisekammer. Und sogar für die Hunde wurde eigens gekocht. Als das Stadtkind, das ich immer war, kam ich aus dem Staunen nicht heraus.

 

Alles mit Liebe handgemacht
Alles mit Liebe handgemacht

Gute Küche bin ich von jeher gewöhnt, da hat das Leben mich bisher immer anständig behandelt. Aber so ausgezeichnet habe ich vorher noch nie gegessen. Jede Mahlzeit war ein spektakuläres Ereignis. Mein Gast-Vater hatte seine Freude daran, sein Wissen weiter zu geben und weihte mich in viele Geheimnisse seiner Kochkunst ein. Was er allerdings nicht besonders mochte, war wenn andere in seiner Küche oder dem Garten herum fuhrwerkten. So durfte ich meist nur zusehen und ihm lauschen. Ich kam nur dazu, mal Gemüse zu schnippeln oder Kartoffeln aus dem Acker zu holen, wenn seine Frau sanft intervenierte. Er hätte mich nicht mal den Tisch abräumen oder mein eigenes Zimmer putzen lassen. Meine liebe Gast-Mutter war da schon ein bisschen realistischer. Sie freute sich, wenn ich ein paar kleine Handgriffe machte - und ich finde das eh selbstverständlich.

 

Blick aus dem Fester des Gästezimmers
Blick aus dem Fester des Gästezimmers

Vor allem in Anbetracht dessen, was mir als Gast hier außer dem hervorragenden Essen noch geboten wurde. Die beiden bewohnten die erste Etage des Hauses. Im Untergeschoss gab es eine Waschküche und das Zimmer für Gäste. Mit eigenem Bad und dieser Aussicht. Vor dem Fenster gab es obendrein eine Terrasse, auf der ich rauchen durfte. Ich kam mir vor wie einem Fünf-Sterne-Hotel. Mit Familienanschluss allerdings. Die Oma und weitere Familienmitglieder lebten in einem anderen Haus auf dem Grundstück. Der Sohn, die Tante und andere ließen sich auch immer wieder mal sehen. Ein buntes Meer freundlicher Gesichter aller Altersstufen. 

 

Das bei weitem entzückendste davon gehörte meiner Gast-Mutter. Sie gehört zu diesen raren Menschen, die für jeden ein Lächeln und ein gutes Wort übrig haben. Und zwar jederzeit. Sie fragte jeden Morgen, wo ich den Tag verbringen würde. Und sie bat mich darum, eine kurze Notiz zu hinterlassen, wenn ich wegging und niemand zu Hause sei. Wenn ich abends zurück kam, umarmte sie mich und fragte, ob es mir gut ergangen sei. Bevor sie zu Bett ging, klopfte sie an meine Tür und fragte, ob ich noch etwas bräuchte. Sie merkte sich, was ich gern trank und nahm das beim nächsten Einkauf ganz selbstverständlich mit. Als ich mal durch eigene Dummheit mein Stativ zerstörte, machte sie ihren Mann darauf aufmerksam. Bei meiner Rückkehr an diesem Abend stand es völlig wieder instand gesetzt in meinem Zimmer. Ich fühlte mich sehr behütet und in Watte gepackt. Ein Gefühl, dass ich nach so vielen Jahren Leben als Erwachsene überraschend hoch zu schätzen gelernt habe.

 

Im Golfo di Borromeo
Im Golfo di Borromeo

Meine Gast-Eltern nahmen auch ein wenig Einfluss auf meine Freizeitgestaltung, indem sie sich erboten, mir Orte zu zeigen, die ich bei vorangegangenen Reisen noch nicht erkundet hatte. Inzwischen war ich drei Mal für je eine Woche bei ihnen. Ich werde nicht auf jeden einzelnen Ausflug näher eingehen, den wir gemacht haben, aber eine kleine Fotogalerie hänge ich gleich noch an. Damit man einen Eindruck davon bekommt, wie viel Zeit und Kilometer sie mir geopfert haben. Erzählen möchte ich vom einem Teil unseres ersten gemeinsam verbrachten Tages.

 

Der begann damit, dass die beiden mich an den Lago di Mergozzo und anschließend auf den Monte Castello brachten. Danach saßen wir gemeinsam am Strand, als ein Boot erschien, in dem der Sohn des Hauses mit seiner Auserwählten saß - die übrigens ausgezeichnet deutsch spricht. Sie erklärte mir auch, dass ich nun mit meinen Gast-Eltern eine kleine Tour über den See machen könne, sofern ich keine Angst davor hätte, in eine so eine kleine "Nuss-Schale" zu steigen. Hatte ich natürlich nicht, im Gegenteil. Ich war völlig begeistert. 

 

Auf der Isola Madre
Auf der Isola Madre

So begaben wir zwei Frauen uns in die Hände unseres eigenen Bootsmannes. Als der sich davon überzeugt hatte, dass mir das Boot wirklich keine Probleme bereitete, holte er auch das letzte aus dem kleinen Motor raus. Warf uns in die Wellen, die schnelle Yachten verursachten und ließ unsere Jolle so richtig schön durchschütteln. Wir hatten so einen Spaß! Durchnässt von der Gischt, johlend und juchzend bahnten wir uns den Weg zur Isola Madre. Vor der lagen natürlich dutzende weitere Boote vor Anker, deren Besitzer alle untereinander bekannt waren. So wurden wir mit großem Hallo begrüßt und man unterhielt sich hier und da ein bisschen von Bug zu Bug.

 

Dann zuckelten wir weiter, einmal ganz um die Insel herum, damit ich alle Ufer zu sehen bekam. An dem einsamsten aller Strände legten wir an und ich bekam eine ganz neue Aussicht auf die gegenüberliegenden Orte Pallanza und Suna. Außerdem erschien von irgendwoher ein Himbeer-Tiramisu, dass wir uns in aller Seelenruhe zu Gemüte führten. Dann nahmen wir ein Bad vor der Insel und genossen die ungewöhnliche Perspektive. Auf dem Rückweg zum Strand unterm Haus waren wir etwas langsamer unterwegs als zuvor, da ich noch Fragen zu den beiden Städten hatte und wir für die Antworten immer anhielten. Beide deuteten dann auf die jeweiligen Häuser, um die es ging und erklärten mir im Wechsel die Historie.

 

Auf dem Monte Castello
Auf dem Monte Castello

Das alles hatten diese beiden wunderbaren Menschen sich ausgedacht, weil sie in den Tagen davor sehr genau zugehört hatten. Sie wussten, dass ich weder die Isola Madre je betreten noch den Lago di Mergozzo gesehen hatte. Sie hatten sich gemerkt, dass ich hohe Aussichtspunkte, Boote und Himbeeren mag. Ist das nicht erstaunlich?

 

Es fiel mir sehr schwer, mich von ihnen zu verabschieden, als ich zum ersten Mal ihr Haus wieder verließ - und eigentlich auch jedes Mal danach. Meine nächste Adresse war das Zuhause eines allein lebenden Mannes, was meinem Gast-Vater Sorgen bereitete. Er betonte ausdrücklich, dass er nur einen Anruf weit entfernt sei, sollte der Herr sich nicht benehmen. Meine Gast-Mutter herzte und knuddelte mich und sagte, ich sei nun ein Teil der Familie. In diesem Haus sei ab jetzt immer ein Platz für mich. Tränenüberströmt ging ich fort - um eine Woche später bereits zurück zu kommen.

 

Als mein übernächster Gastgeber nicht auftauchte und ich ohne ein Dach über dem Kopf da stand, waren meine neuen Wahlverwandten nämlich tatsächlich nur den versprochenen Anruf entfernt. Ohne mit der Wimper zu zucken, sprangen sie ins Auto, holten mich am Hafen ab und gaben mir das Zimmer für die restlichen sechs Tage meines Aufenthalts. Im Winter darauf durfte ich wieder zu Gast bei ihnen sein. Beim letzten Abschied waren wir dann endgültig so weit, dass wir den nächsten Besuch schon mal gleich terminlich vorplanten. 

 

Nun habe ich Familie am See. Eine Erkenntnis, die lange brauchte, um durchzusickern. Die mich aber dann umso glücklicher machte. Ich hoffe aufrichtig, dass ich die Gelegenheit bekomme, mich angemessen für dieses unschätzbare Geschenk erkenntlich zu zeigen.




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