Die Krönung zur Schiff-Prinzessin


Stresa
Stresa

Es ist nicht nur gewünscht worden, sondern ergibt auch Sinn, dass ich meine Reihe von Geschichten mit derjenigen beginne, die mir überhaupt erst den glorreichen und unwiderruflichen Titel der Schiff-Prinzessin eingebracht hat. Ein schöner Anfang, trug es sich doch an meinem geliebten See in Italien zu und dreht es sich doch um fünf gut aussehende wie zauberhafte Männer - und meine nicht minder entzückende Wenigkeit. Ich muss noch vorausschicken, dass ich während meiner Sommeraufenthalte am See zum Schutz vor der Sonne stets den gleichen weißen Hut trage. Als ich ihn seinerzeit für einen Euro erstand, ahnte ich noch nicht, dass er mir einen gewissen Wiedererkennungswert und damit unzählige Vorteile in einem fremden Land einbringen würde. 

 

Ich trug ihn auch, als ich im Juli des Jahres 2015 während meiner sechsten Reise mal wieder an Bord eines der Schiffe ging. Als ich dem Bootsmann mein Ticket zeigte, sprach er mich an. "Dich kenne ich doch." Ich habe ein gutes Gedächtnis für Gesichter - und hätte ich je vorher mit diesem Menschen gesprochen, hätte ich ihn wiedererkannt. Das sagte ich ihm, worauf er erwiderte: "Nein, miteinander gesprochen haben wir nie. Aber diesen Hut, den habe ich schon mal gesehen. Im letzten Jahr. Und im Jahr davor. Und im Jahr davor... Du reist also oft hierher? Warum? Hast Du Familie hier?"

 

So kam es, dass ich zum ersten Mal einem Seemann dieser Flotte von meiner Liebe für den See und von meinem geplanten Buch darüber erzählte. Mit schlechten Italienisch-Kenntnissen, aber umso mehr Begeisterung und unter Anwendung großer Gesten machte ich ihm klar, wie sehr ich ihn um seinen Job beneidete. Ich bemerkte tatsächlich nicht, dass der Rest der Mannschaft sich hinter uns inzwischen zu Publikum dieser kleinen Szene entwickelt hatte und gebannt an unseren Lippen hing. Als ich anmerkte, wie charmant ich es finde, dass der Bootsmann sich an mich erinnert, trat der Kapitän hinzu und ließ verlauten, man erinnere sich an alle schönen Frauen, die das Schiff betreten.

 

Fast gegen meinen Willen schmeichelte mir das ungeheuerlich und entlockte mir ein breites Grinsen. Das zieht auch nur auf italienisch und mit diesem verschmitzten italienischen Schalk im Nacken. So charmant eingewickelt ging ich dann an Bord, nicht ahnend, was aus dieser kurzen Begegnung mit der Crew noch so alles werden sollte. Einige Minuten später trat der Bootsmann nämlich erneut an mich heran und teilte mir mit, der Kapitän wünsche mich auf der Brücke zu sprechen.

 

Erste Schicht an Bord
Erste Schicht an Bord

Um zu verstehen, wie aufregend ich das fand, muss man wissen, dass ich eine große Affinität zu Wasserfahrzeugen aller Art habe. Mein verstorbener Vater war einige Jahre zur See gefahren und hatte mir mein Leben lang von Schiffen erzählt und war bei jeder Gelegenheit mit mir in Häfen gegangen. Auf all den Reisen, die ich vorher hierhin unternommen hatte, war ich immer auf den Schiffen statt im weit billigeren Bus. Ich liebe den Wind um die Nase, das Stampfen des Motors, das Durchschneiden der Wasseroberfläche mit dem Bug. Natürlich hatte ich mir immer gewünscht, mal auf der Brücke stehen zu dürfen. Und einfach so wurde es wahr.

 

Denn selbstverständlich kam ich der Bitte des Kapitäns nach und ließ mich mit zitternden Händen nach oben bringen. Er hatte eine Frage bezüglich des Buches - nämlich ob die Schiffe der hier ansässigen Flotte denn wohl auch darin vorkämen. "Natürlich," gab ich zurück, "sie sind ja auf genug meiner Fotos zu sehen." Er erklärte, das habe er nicht gemeint. Es sei für so ein Buch sicher auch interessant, mal den Alltag einer Crew hautnah mitzuerleben. Den Maschinen-raum zu sehen. Zu lernen, wie man ein Schiff steuert. Die Hierarchie zu durchschauen und die Aufgaben eines jeden einzelnen zu begreifen. Wenn ich während meines weiteren Aufenthaltes noch Zeit dafür habe, könne ich ja in Betracht ziehen, einen ganzen Tag lang als Gast der Mannschaft an Bord zu sein. Unnötig zu sagen, dass ich es augenblicklich in Betracht zog. Genau genommen musste ich mir verkneifen, vor Freude zu quieken wie ein glückliches Ferkel in einem Haufen Stroh.

 

Da ich im nächsten Hafen an Land musste, machten wir für ein paar Tage später einen Termin aus. Ich bedankte mich für dieses außergewöhnliche Angebot und dafür, dass ich jetzt bereits auf der Brücke hatte sein dürfen. Nun könnte man darauf ganz banal "Gern geschehen" sagen. Der Italiener aber verfügt über außerordentlichen Charme und sagt "Grazie per la tua compagnia" - was übersetzt "Danke für Deine Gesellschaft" heißt. Das ist eine der angenehmsten Eigenschaften der Menschen in diesem Teil der Erde. Sie geben Dir immer das Gefühl der Wertschätzung und des mehr-als-nur-willkommen-seins. Es vergeht nicht ein Tag, an dem nicht jemand irgendetwas überaus Bezauberndes zu Dir sagt. Unter diesen Menschen zu sein ist reinstes Balsam für Herz und Seele.

 

Übersetzungshilfe
Übersetzungshilfe

Mein erster - und ich dachte auch, mein letzter - Antritt zur Schicht erfolgte an einem sonnigen und heißen Tag. Ich wurde mit den landesüblichen Küssen auf die Wange begrüßt, man nahm mir direkt den schweren Rucksack ab und dann schienen sich die Herren allesamt darum zu reißen, der erste zu sein, der seinen Aufgabenbereich präsentiert. Ich fühlte mich unheimlich gebauchpinselt und muss gekichert haben wie ein kleines Mädchen. Jedenfalls wählte ich zunächst eine vollständige Überfahrt mit Kapitän und Steuermann auf der Brücke. Unsere Route führte uns über das mittlere Becken des Sees an vier Inseln vorbei. Natürlich kannte ich die Strecke schon von den Fahrten als einfacher Passagier. Aber mein neuer erhöhter Aussichtspunkt gab für mich die Sicht auf neue Details frei. Darüber hinaus erhielt ich vom Kapitän eine umfangreiche Lektion in der Historie jedes Ortes, den wir anfuhren. Wenn meine Sprachkenntnisse nicht ausreichten, griff er auf spanisch oder französisch zurück, was ich auch vor Jahrzehnten mal gelernt hatte. Wenn ich dann immer noch nicht verstand, fertigte er kleine Zeichnungen an. Das war großes Kino. 

 

Der Kapitän ist ein nicht nur für italienische Verhältnisse ungewöhnlicher großer Mann. Beim Erzählen kann er nicht sitzen bleiben. Immer wieder springt er auf und untermalt das Gesagte mit großer Geste. Man hat immer Angst, er könne an die Decke der Kabine stoßen. Er verändert Mimik und Stimme, wenn er von mehreren Personen spricht. Er geht völlig in dem auf, was er erzählt. Und er weiß genau, was er sagt. Jede noch so kleine geschichtliche Information aus diesem Gespräch hält einer Überprüfung stand. Der ebenfalls anwesende Steuermann hielt sich an diesem Tag dezent zurück - ich sollte erst später erfahren, dass er durchaus ebenfalls sehr unterhaltsam ist. Ein Mann, der den ganzen Tag Spökes machen kann, wenn er sich in seinem Umfeld wohl fühlt. Er musste wohl erstmal ausloten, was für eine Art Mensch ich bin, bevor er lockerer wurde.

 

Pasta con cozze
Pasta con cozze

Den zweiten Teil der Schicht verbrachte ich im stampfenden Maschinenraum und in der duftenden Kombüse. Ich habe nichts von dem verstanden, was mir in italienisch über den Motor erklärt wurde, wohl aber schamlos die Rezepte von allem notiert, was in der Schiffsküche zubereitet wurde. Der Maschinist und inoffizielle Koch des Trupps eröffnete mir, es gäbe "Pasta con cozze", was für einen großen Lacher sorgte, als ich erklärte wie das für deutsche Ohren klingt. Cozze sind übrigens Miesmuscheln, ganz nebenbei bemerkt. In der Mittagspause blieben wir an Bord und aßen im leeren Passagierbereich die eben mit viel Liebe zubereiteten Köstlichkeiten. Ich wurde in das Tischgespräch mit einbezogen, man sprach mit Rücksicht auf mich langsam und erklärte so lange, bis ich folgen konnte. Ich durfte außer zu essen und zur Unterhaltung beitragen, nichts machen - nicht mal obligatorisch meinen Teller selbst in die Spüle stellen. Da wurde ich bereits ohne den Titel wie eine Prinzessin behandelt.

 

Nach dem Essen gab es für mich Anschauungsunterricht darin, wie man beim Anlegen richtig vertäut und Passagiere sicher von und an Deck bringt. Danach noch die letzte Tour oben auf der Brücke und dieser spektakuläre Tag war schon vorbei. Mit herzlicher Verabschiedung und dem Wissen, etwas Einmaliges erlebt zu haben, ging ich von Bord. Einige Tage später erhielt ich auf facebook eine Nachricht - überraschend vom bis dahin zurückhaltenden Steuermann. Er bedankte sich im Namen der Crew für den angenehmen Tag mit mir und lud mich erneut ein, da sie nun mit einem anderen Schiff unterwegs seien und den Eindruck hatten, mich würde auch das interessieren. Natürlich folgte ich der Einladung mit fliegenden Fahnen und begab mich alsbald mal wieder zum Hafen.

 

Principessa di nave
Principessa di nave

Einen Tag vorher hatte ich eine Villa besucht, ebenfalls in Zusammenhang mit dem Buch. Dort gab es ein sogenanntes "Prinzessinnen-Zimmer", das mich sehr beeindruckt hatte. Davon erzählte ich auf der Brücke. Woraufhin der Steuermann meinte, dieses Zimmer sei ja nun auch angemessen für mich, wo ich doch schon die "Principessa di nave", eben die Schiff-Prinzessin, sei. Nach dieser Tour änderte sich das Verhältnis zwischen mir und der Mannschaft. Ich war nicht länger nur ein Gast, der zu unser beider beruflichem Vorteil hier fotografierte, sondern wurde zu einer Freundin der Crew. Mit diesem entzückenden Spitznamen, den nach und nach alle an Bord auf mich verwendeten. Es folgten noch viele Fahrten mit meiner Mannschaft und später teils auch mit anderen Seeleuten - und es werden hoffentlich noch so einige kommen. 

 

Die von einer Leserin angefragten besten Erlebnisse an Bord alle in diesem Beitrag zu schildern, würde nun doch den Rahmen sprengen. Darauf werde ich in weiteren Texten einzeln zurück kommen.



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